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Schadenersatz wegen Viren III

Eine rechtspolitische Betrachtung der Haftungssituation im Internet

Follow Up zu Schadenersatz wegen Viren I und II

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Das Internet schafft in vielerlei Hinsicht neue Situationen, mit denen wir erst umgehen lernen müssen. Das Hauptproblem dabei ist: Die Entwicklung verläuft in einer Geschwindigkeit, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Was die rechtliche Situation im Internet auch für mich als Juristen teilweise unbillig macht, ist der Umstand, dass hier bei Anwendung der außerhalb des Internet üblichen Haftungsanforderungen Leute zum Handkuss kommen, die völlig überfordert sind. Oft haben sie - und da ist der Virenversand ein gutes Beispiel - keine Ahnung, was überhaupt passiert ist, weil sie gerade gelernt haben, wie man den Computer einschaltet und ins Internet gelangt. Nun ist aber das Gesetz relativ streng: Wer sich eine Tätigkeit zumutet, haftet auch dafür, dass er die dazu notwendigen Kenntnisse besitzt (§ 1299 ABGB sinngemäß). Das könnte man auch als eine Art zivilrechtlichen Internet-Führerschein durch die Hintertür ansehen: Es wird zwar jeder ohne Vorkenntnisse via Internet auf die ganze Welt losgelassen, aber wenn er dabei etwas anstellt, wird er finanziell zur Verantwortung gezogen. Die Haftung für Virenschäden ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Die Erstellung einer Website birgt mindestens so viel Konfliktstoff und dem Urheberrecht ist es völlig egal, ob ein Jurist mit Spezialwissen dagegen verstößt oder ein Nichtjurist mit Minimalschulbildung. Die Folgen sind für beide gleich und können für beide ruinös sein.

Nun besteht seit geraumer Zeit über Österreich hinaus anscheinend der gesellschaftliche Konsens, dass der Internetzugang für die gesamte Bevölkerung maximal gefördert werden muss. So problematisch diese Ansicht auf der einen Seite ist, wenn man das geringe Vorwissen an EDV und Internet betrachtet, so notwendig ist diese Förderung, will man eine zukünftige Zweiklassengesellschaft und internationale Wirtschaftsnachteile vermeiden. Man muss sich aber dabei bewusst sein, dass die Komplexität der Vorgänge schon jetzt die meisten Internetnutzer überfordert. Dabei sind jetzt erst rund 50 Prozent der Österreicher im Internet und man kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass sich die restlichen 50 Prozent noch viel schwerer mit der neuen Technik tun werden. 

Die Frage, die sich daher zunehmend stellt, ist, ob die gesetzliche Fiktion aus dem vorletzten Jahrhundert noch aufrechterhalten werden kann, dass jedermann nur Dinge tun darf, für die er ausgebildet ist, und dass er haftbar wird, sobald er einen Schaden verursacht, weil er sein Können überfordert. Der Staat verletzt meines Erachtens seine Fürsorgepflicht, wenn er einerseits seine Bürger ohne Vorbereitung ins Internet treibt und dann schwere Paragraphen auffährt, wenn etwas schiefgegangen ist.

Nun gibt es auch außerhalb des Internet Gefahren im täglichen Leben, für die wir nicht oder nicht genügend vorbereitet sind. Denken wir nur an den Straßenverkehr: Neben Millionenschäden gibt es hier jährlich auch noch Tausende Tote und noch viel mehr Verletzte. Gesetze, Führerschein und tägliche Schreckensmeldungen können das nicht verhindern. Das Auto wird deswegen nicht verboten; der Verkehr war immer schon gesellschaftlich erwünscht, wie es das Internet jetzt auch ist. Die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen werden in diesem Bereich durch verpflichtende Versicherungen abgefangen, die sogenannten Haftpflichtversicherungen. Die zivilrechtliche Schadenersatzpflicht wird dabei sozusagen "outgesourced".

Es ist in der Diskussion um die Schadenersatzpflicht wegen Viren auch angeklungen, ob man etwa jetzt auch für das Internet eine Versicherung abschließen muss. Nun, ich halte das für übertrieben. Aber wenn man ohnedies eine aus vielerlei Gründen empfehlenswerte Privathaftpflichtversicherung (etwa im Rahmen einer Haushaltsversicherung) hat, sollte man sich vielleicht anschauen, ob diese Versicherung Fremdschäden durch die Internetnutzung deckt. 

Anders ist die Situation, wenn jemand geschäftlich mit dem Internet zu tun hat; da kann angesichts der spezifischen rechtlichen Gefahren eine Betriebshaftpflichtversicherung existenzsichernd wirken. Allerdings habe ich den Eindruck, dass viele Versicherungen das Internet in ihrem ureigensten Bereich, dem Versichern, verschlafen. Es gibt kaum Versicherungen, die Produkte für die speziellen Internet-Risiken, wie Ansprüche aus dem Wettbewerbs-, Urheber- und Markenrecht, anbieten.

Wie kann aber jetzt ohne verpflichtende Versicherungen verhindert werden, dass Internetnutzer mit Schadenersatzforderungen konfrontiert werden. Meiner Meinung gibt es dazu sehr viele Möglichkeiten; die wichtigsten sind Ausbildung und Aufklärung über alle zur Verfügung stehenden Kanäle: Schulen, Erwachsenenbildung und Medien. Daneben müssen alle Beteiligten mitwirken, dass Computer und Internet, solange diese Symbiose besteht, einfacher bedienbar und sicherer werden. Dazu sind Hard- und Software-Hersteller berufen, aber auch die Netzbetreiber. Dann ist auch der Rechtsstaat gefordert. Er muss dafür sorgen, dass kriminelle Elemente im Cyberspace genauso bekämpft werden wie in der realen Welt, auch wenn dies noch mehr internationale Zusammenarbeit erfordert. Und zuletzt werden auch die Gerichte die Rechtsprechung behutsam an die geänderte Situation anpassen müssen.

Es ist klar, dass alle Maßnahmen zusammen nur eine beschränkte Wirkung zeitigen werden. Aber dass man keine hundertprozentige Lösung erreichen kann, war noch nie eine Rechtfertigung dafür, eine notwendige Maßnahme von vorneherein zu unterlassen. Und eine hundertprozentige Absicherung gibt es im Leben nirgends. Dort, wo sie möglich wäre, wird sie häufig aus Unwissen oder Sorglosigkeit unterlassen. Man denke nur an die enormen Fremdschäden, die durch Fahrrad-, Sport- oder Freizeitunfälle oder durch Hundebisse verursacht werden. Sind Sie gegen diese Risiken versichert? Nein? Dann brauchen Sie auch keine Haftpflichtversicherung für das Internet. Es lebe das Risiko!

17.2.2003


Sachverständigenhaftung 
§ 1299. Wer sich zu einem Amte, zu einer Kunst, zu einem Gewerbe oder Handwerke öffentlich bekennet; oder wer ohne Noth freywillig ein Geschäft übernimmt, dessen Ausführung eigene Kunstkenntnisse, oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß erfordert, gibt dadurch zu erkennen, daß er sich den nothwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen, Kenntnisse zutraue; er muß daher den Mangel derselben vertreten.....

Die Schreibweise deutet bereits auf das Alter der Regelung hin. Herrschende Meinung zu dieser Bestimmung ist, dass sie sowohl für vertragliche als auch für deliktische Haftung gilt und dass die Fälle nicht taxativ aufgezählt sind. So wurde bereits judiziert, dass die strengere Haftung etwa für einen Hundehalter gilt (11.10.94, EvBl 1995/57) oder für einen Tierhalter, wenn dabei besondere Sachkenntnis notwendig ist (20.10.81, EvBl 1982/43), aber auch für einen Kraftfahrer bezüglich der Fahrkenntnisse oder technischer Kenntnisse (ZVR 1979/72). Auf der anderen Seite wird etwa von der Rechtsprechung bei Sportunfällen ein geringerer Sorgfaltsmaßstab angelegt und dies damit begründet, dass die Sportausübung unmöglich gemacht würde, wenn die Sorgfaltspflichten überspannt würden. Auch bezüglich des Sorgfaltsmaßstabes ist es fraglich, wie man die Teilnahme am E-Mail-Verkehr wertet. 

Franz Schmidbauer