ludus tonalis
OGH, Beschluss vom 31.1.1995, 4 Ob 143/94
UrhG § 42 (alte Fassung), RBÜ Art 9
***** Zusammenfassung *****
Die Klägerin betreibt einen Musikverlag in Wien und besitzt die
ausschließlichen Werknutzungsrechte der Komposition Ludus tonalis des deutschen
Komponisten Paul Hindemith. Die Beklagte ist ua als Musiklehrerin in Wien tätig
und hat in dieser Eigenschaft für ihre Schüler drei Kopien der gedruckten Noten
dieses Werks von Hindemith angefertigt und den Schülern zum Zweck des Übens zu
Hause übergeben.
Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab, das Rekursgericht bestätigte.
Der OGH gibt dem Revisionsrekurs teilweise Folge und erlässt die EV in
eingeschränktem Umfang. Der Vervielfältigende darf das Vervielfältigungsstück gem.§ 42
(damalige Fassung) innerhalb der Privatsphäre auch weitergeben, solange das Werk
damit nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird; der Gebrauchszweck muss
nicht privater Natur sein, sondern kann auch beruflichen Zwecken des
Vervielfältigers dienen.
Die Klägerin hat ihren Anspruch aber auch auf Art 9 RBÜ
gestützt. Danach dürfen die Mitgliedsländer die Vervielfältigung in gewissen
Sonderfällen unter der Voraussetzung gestatten, dass eine solche weder die
normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen
des Urhebers unzumutbar verletzt. Soweit ein Verbandsland diese Grenzen
verlässt, hat ein Urheber aus einem anderen Verbandsland einen ihm de iure
conventionis zustehenden Korrekturanspruch. Tatsächlich steht § 42
UrhG infolge der technischen Entwicklung auf dem Gebiet des Fotokopierverfahrens
- jedenfalls soweit er das Notenmaterial betrifft - nicht mehr mit Art. 9 Abs. 2
RBÜ in Einklang. Auch die normale Auswertung des Werkes wird durch das weit
verbreitete Ablichten von Notenmaterial beeinträchtigt (Rechtslage vor
Einführung der Reprographievergütung!). Das Kopieren von Noten war daher zu
untersagen.
***** Entscheidung *****
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek, Dr. Niederreiter, Dr. Redl und Dr. Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Thomas Höhne, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sylvia P*****, vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 5.September 1994, GZ 4 R 118/94-9, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 8.April 1994, GZ 38 Cg 39/94k-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einschluß des bestätigten Teiles insgesamt wie folgt zu lauten hat:
"Einstweilige Verfügung:
Zur Sicherung des mit Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruches wird der Beklagten verboten, Notenmaterial von Werken der Tonkunst des Komponisten Paul Hindemith, an denen die Klägerin das ausschließliche Vervielfältigungsrecht innehat, insbesondere Noten des Werkes "Ludus tonalis", zum Zwecke der Weitergabe der Kopien an Schüler zu kopieren, es sei denn, daß ihr die Klägerin diese Vervielfältigung gestattet hat.
Das Mehrbegehren, der Beklagten das Vervielfältigen der genannten Werke ganz allgemein zu untersagen, wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten den mit S 14.159,70 bestimmten Anteil an den Kosten des Provisorialverfahrens erster und zweiter Instanz (darin S 2.359,95 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die auf den stattgebenden Teil entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen hat die Klägerin vorläufig selbst zu tragen; die auf den abweisenden Teil entfallenden Kosten des Revisionsrekurses hat sie endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
Die Klägerin, die einen Musikverlag in Wien betreibt, ist zur ausschließlichen Werknutzung der Komposition "Ludus tonalis (1942)" von Paul Hindemith berechtigt. Paul Hindemith war deutscher Staatsbürger und ist am 28.Dezember 1963 gestorben.
Die Beklagte ist ua als Musiklehrerin in Wien tätig und hat in dieser Eigenschaft für ihre Schüler drei Kopien der gedruckten Noten dieses Werks von Hindemith angefertigt und den Schülern zum Zweck des Übens zu Hause übergeben.
Die Klägerin behauptet, daß die Beklagte dadurch in ihr ausschließliches Vervielfältigungsrecht eingegriffen und gegen Art 9 RBÜ verstößen habe, weil eine solche Vorgangsweise geeignet sei, die normale Auswertung des Notenwerks zu beeinträchtigen und auch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletze. Die Klägerin begehrt zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, Vervielfältigungen, auch zum eigenen Gebrauch, von Werken der Tonkunst des Komponisten Paul Hindemith, an denen die Klägerin das ausschließliche Vervielfältigungsrecht innehat, insbesondere der Noten des Werkes "Ludus tonalis" zu unterlassen, sofern ihr die Klägerin diese Vervielfältigung nicht gestattet hat.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Sie habe die Noten nur zum eigenen Gebrauch vervielfältigt. Dazu sei sie gemäß § 42 Abs 1 UrhG berechtigt. Aus Art 9 Abs 2 RBÜ könne mangels Konkretisierung kein Mindestrecht des sog. Verbandsurhebers abgeleitet werden. Überdies lägen hier auch die Voraussetzungen für eine Beschränkung des Vervielfältigungsrechtes im Sinn des Art 9 Abs 2 RBÜ vor.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Gemäß §§ 1, 34 IPRG sei österreichisches Recht anzuwenden, weil die Verletzungshandlungen der Beklagten in Österreich geschehen seien. Die Beklagte sei nach § 42 Abs 1 UrhG berechtigt, einzelne Vervielfältigungsstücke zum eigenen (privaten oder beruflichen) Gebrauch herzustellen. Daß sie die Absicht gehabt hätte, die Vervielfältigungsstücke entgegen § 42 Abs 2 UrhG der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sei nicht behauptet worden. § 42 UrhG sei auch auf Noten anzuwenden.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der (ordentliche) Revisionsrekurs zulässig sei. Die Pariser Fassung der RBÜ, welche erstmals Art 9 Abs 2 enthält, sei mit BGBl 1982/319 innerstaatliches österreichisches Recht geworden und daher grundsätzlich geeignet, älteren österreichischen Gesetzesbestimmungen wie § 42 Abs 1 UrhG inhaltlich zu derogieren. Diese Bestimmung stehe aber mit Art 9 Abs 1 und 2 RBÜ nicht in Widerspruch. Eine materielle Derogation des § 42 Abs 1 UrhG in bezug auf die Vervielfältigung von Notenmaterial der ernsten Musik sei daher nicht eingetreten. § 42 Abs 1 UrhG enthalte einen Kompromiß zwischen den berechtigten Interessen der Urheber (und ihrer Rechtsnachfolger) auf Genuß der Früchte ihres Werkes und den Interessen der Konsumentenan der Erleichterung des privaten Gebrauchs dieser Werke. Bei der Auslegung und Begrenzung des freien Werknutzungsrechtes nach § 42 Abs 1 UrhG sei Art 9 Abs 2 RBÜ zweifellos zu berücksichtigen. Im Bereich der Vervielfältigung von Notenmaterial, insbesondere der ernsten Musik, sei die wirtschaftliche Situation beim Druck und Verlag von Notenmaterial besonders in Rechnung zu stellen. Die hohen Kosten des Druckes und Verlages sowie die geringen Auflageverkaufszahlen könnten viel leichter (als bei anderen Arten von Werken) dazu führen, "daß die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt" wird. Dennoch könne nicht gesagt werden, daß schon die Herstellung ganz weniger Vervielfältigungsstücke den Verlag von Musikmaterial unwirtschaftlich mache oder wesentlich beeinträchtige, zumal gerade die Entwicklung der Technik dazu geführt habe, daß ein Musikwerk nicht mehr in erster Linie durch Verkauf des gedruckten Materiales ausgewertet wird. Die Herstellung dreier Vervielfältigungsstücke eines Musikstücks für den privaten Gebrauch sei nicht geeignet, die normale Auswertung des Werkes zu beeinträchtigen. Eine gewisse Verletzung berechtigter Interessen des Urhebers durch die freie Werknutzung nehme auch Art 9 Abs 2 RBÜ in Kauf. Selbst Frotz (FS 50 Jahre UrhG 119 ff) vertrete nicht die Ansicht, daß musikalisches Notenmaterial nicht unter § 42 Abs 1 UrhG falle, sondern richte einen Appell an den Gesetzgeber, das Notenmaterial aus dem Kreis der freien Vervielfältigung nach § 42 UrhG ganz auszuscheiden.
Rechtssatz
Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs der Klägerin ist teilweise berechtigt.
Nach § 42 Abs 1 UrhG darf jedermann von einem Werk einzelne Vervielfältigungsstücke zum eigenen Gebrauch herstellen. Eine Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch liegt nach § 42 Abs 2 UrhG nicht vor, wenn sie zu dem Zwecke vorgenommen wird, das Werk mit Hilfe des Vervielfältigungsstückes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der eigene Gebrauch wird damit nach Lehre (Dittrich in MR 1984,4, Archiv 2 und in FS-Wagner [1987], 63 ff [66]; Walter, Die freie Werknutzung der Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch, MR 1989, 69) und Rechtsprechung (ÖBl 1993, 136 = MR 1993, 65 - Null-Nummer II) nicht nur negativ umschrieben, sondern auch definiert. Das ergibt sich auch aus den EB zum Stammgesetz (Peter, Das österreichische Urheberrecht 559). Aus dieser Abgrenzung und daraus, daß das Gesetz keinen "persönlichen" Gebrauch fordert, folgt, daß der Vervielfältigende das Vervielfältigungsstück (innerhalb der "Privatsphäre") auch weitergeben darf, solange das Werk damit nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird; der Gebrauchszweck muß nicht privater Natur sein, sondern kann auch beruflichen Zwecken des Vervielfältigers dienen (Walter aaO).
Wäre der vorliegende Sachverhalt nur nach § 42 UrhG zu beurteilen, dann wäre dem Rekursgericht vollinhaltlich beizupflichten. Die Klägerin hat sich aber auf Art 9 RBÜ berufen:
Nach Art 9 Abs 1 RBÜ (- alle Zitate beziehen sich auf die Pariser Fassung [PF] -) genießen die Urheber von Werken der Literatur und Kunst, die durch diese Übereinkunft geschützt sind, das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung dieser Werke zu erlauben, gleichviel, auf welche Art und in welcher Form sie vorgenommen wird. Der Gesetzgebung der Verbandsländer bleibt es allerdings nach Art 9 Abs 2 RBÜ vorbehalten, die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen unter der Voraussetzung zu gestatten, daß eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt.
Soweit ein Verbandsland die von Art 9 Abs 2 RBÜ gesteckten Grenzen verläßt, hat ein Urheber aus einem anderen Verbandsland (sog: "Verbandsurheber") einen ihm iure conventionis zustehenden Korrekturanspruch (Nordemann/Vinck/Hertin, Internationales Urheberrecht Rz 4 zu Art 9 RBÜ; auch Katzenberger in Schricker, Urheberrecht Rz 67 vor §§ 120 dUrhG). Die RBÜ geht vom Grundsatz der Inländerbehandlung aus (Art 5), so daß sich der Berechtigte unmittelbar auf das jeweils maßgebende inländische Recht berufen kann; soweit aber die RBÜ mit ihren Mindestrechten einen über den in Frage stehenden Inlandschutz hinausgehenden (Mindest-)Schutz gewährt, kann sich der Berechtigte auch auf diese Mindestrechte stützen (v.Gamm, Urheberrechtsgesetz Rz 5 zu § 121 dUrhG; Nordemann/Vinck/Hertin, Urheberrecht, Rz 2 zu § 121 dUrhG).
Die Klägerin, welche ihr ausschließliches Werknutzungsrecht (§ 24 Abs 1 UrhG; Art 2 Abs 6 RBÜ) von dem (verstorbenen) deutschen Staatsbürger Paul Hindemith ableitet, kann daher auch dann einen Verstoß gegen ihr ausschließliches Vervielfältigungsrecht geltend machen, wenn ein solcher nach einer österreichischen Norm, welche über die Grenze des Art 9 Abs 2 RBÜ hinausgeht, nicht vorläge. Ob der Bestimmung des § 42 Abs 1 UrhG dann, wenn sie diese Grenzen sprengen sollte, derogiert wäre, sie also auch gegenüber Inländern keine Anwendung fände, braucht hier nicht untersucht zu werden.
Wie Frotz ("Zum Vervielfältigungsrecht des Urhebers und zu den konventionskonformen nationalen Beschränkungen - Ein Beitrag zur Fortentwicklung des UrhG" in FS 50 Jahre Urheberrechtsgesetz 119 ff [137 ff]) eingehend dargelegt hat, steht § 42 UrhG infolge der seit Erlassung dieses Gesetzes im Jahre 1936 eingetretenen technischen Entwicklung auf dem Gebiet des Fotokopierverfahrens - jedenfalls soweit er Notenmaterial betrifft - nicht mehr mit Art 9 Abs 2 RBÜ in Einklang steht (aM noch die EB zur RBÜ PF bei Dittrich, UrhG2, 399). Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes kann nämlich nicht allein auf die wirtschaftliche Bedeutung der beanstandeten Handlungsweise der Beklagten - daß sie nämlich (nur) drei Ablichtungen eines Notenwerkes für ihre Schüler angefertigt hat - abgestellt werden; vielmehr sind die Konsequenzen maßgebend, die sich aus einer allgemeinen Übung dieser Art für die Träger der Verwertungsrechte ergeben. Wie Frotz aaO (136) ausführt und auch allgemein bekannt (§ 269 ZPO) ist (s auch die Amtl Begr BT Drucksache 10/837, 17 bei Loewenheim in Schricker, UrhR, Rz 32 zu § 53 dUrhG) - so daß Feststellungen der Vorinstanzen entbehrlich waren -, ist das Fotokopieren von Musiknoten schon so üblich geworden ist, daß die Zahl der Kopien auch in Österreich in die Millionen gehen dürfte. (Laut Frotz hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels schon 1978 das jährliche Aufkommen von Fotokopien in der Bundesrepublik Deutschland auf 44 bis 60 Milliarden Stück geschätzt und die Gesamtzahl der Reprographien von urheberrechtlich relevanten Vorlagen mit etwa 5 Milliarden Stück veranschlagt, wobei sich darunter zumindest Millionen Notenkopien geschützter Musikwerke befunden haben werden.)
Daraus ergibt sich aber, daß diese Art der Vervielfältigung von Noten die berechtigten Interessen des Urhebers bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung sehr wohl unzumutbar verletzt, wenngleich nicht jede Schädigung oder Beeinträchtigung die Grenze des Zumutbaren übersteigt (Frotz aaO 128). Das gilt (jedenfalls derzeit noch) vor allem für die berechtigten materiellen Interessen des Urhebers, dem das Entgelt entgeht, welches ihm beim Kauf der Noten zuflösse.
Aber auch "die normale Auswertung des Werkes" wird durch das weit verbreitete Ablichten von Notenmaterial zweifellos beeinträchtigt. Die normale Auswertung eines Musikwerkes liegt auch im Vertrieb von Notenmaterial dieses Werkes durch ein Verlagsunternehmen, welches damit einen angemessenen Gewinn erzielen kann (vgl Frotz aaO 131). Gerade in der ernsten Musik hat bei der normalen Auswertung eines Tonkunstwerkes der Druck von Noten, also das Notengeschäft, neben der öffentlichen Aufführung und der mechanischen Vervielfältigung sowie der Sendung seine traditionelle Rolle weiterhin behalten (Frotz aaO 132). Dieses Geschäft - und damit die normale Auswertung - wird durch das Fotokopieren behindert, zumindest zurückgedrängt und damit schwer beeinträchtigt.
Ob sich nach Einführung einer Reprographievergütung (vgl § 42b Abs 2 UrhG idF der RV einer Urheberrechtsgesetznovelle 1994) eine andere Einschätzung ergeben könnte, braucht bei der derzeitigen Rechtslage nicht untersucht zu werden.
Das - der Beklagten allein vorgeworfene - Ablichten von Noten für berufliche Zwecke - wie hier für Schüler - überschreitet aus den dargestellten Erwägungen jedenfalls den Rahmen des Art 9 Abs 2 RBÜ.
Das von der Klägerin angestrebte Verbot geht freilich zu weit. Die Beklagte hat nach den Behauptungen der Klägerin und den Feststellungen der Vorinstanzen in das ausschließliche Verwertungsrecht der Klägerin nur dadurch eingegriffen, daß sie drei Ablichtungen eines Werkes Paul Hindemiths für ihre Schüler hergestellt hat. Das rechtfertigt zwar das Verbot eines gleichartigen Verhaltens auch in Ansehung anderer Werke desselben Komponisten, sofern der Klägerin daran das ausschließliche Vervielfältigungsrecht zusteht. Anhaltspunkte für die Annahme, die Beklagte würde auch in anderer Weise und für andere Zwecke Werke Hindemiths "vervielfältigen" - nach dem Begehren der Klägerin sollte das Vervielfältigen der Werke Hindemiths schlechthin, also auch das Vervielfältigen der Werkfestlegung auf Tonträgern (vgl § 15 Abs 2 UrhG) verboten werden - fehlen völlig.
Da schon aus diesem Grund kein Grund für ein allgemeines Verbot des Vervielfältigens besteht (ÖBl 1991, 105 - Hundertwasser-Pickerln II), brauchte hier nicht geprüft zu werden, welche Ausnahmen von dem ausschließlichen Vervielfältigungsrecht des Urhebers mit Art 9 Abs 2 RBÜ in Einklang zu bringen sind, insbesondere ob - wie die Klägerin zum Ausdruck bringt - nur die in Art 53 Abs 4 dUrhG vom grundsätzlichen Verbot des Vervielfältigens von Notenmaterial gemachten Ausnahmen in Frage kommen.
Aus diesen Erwägungen waren die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß der Beklagten das Kopieren von Notenmaterial der Werke Hindemiths, an denen der Klägerin das ausschließliche Vervielfältigungsrecht zusteht, zwecks Weitergabe der Kopien an Schüler - sofern die Klägerin nicht zugestimmt hat - untersagt wird; das Mehrbegehren auf Verbot des Vervielfältigens schlechthin mußte hingegen abgewiesen bleiben.
Der Ausspruch über die den stattgebenden Teil betreffenden Kosten des Provisorialverfahrens auf Seiten der Beklagten gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 40, 50 Abs 1, § 52 ZPO, auf Seiten der Klägerin auf § 393 Abs 1 EO; jener über die den abweisenden Teil betreffenden Kosten der Beklagten für das Verfahren erster und zweiter Instanz - am Revisionsrekursverfahrens hat sich die Beklagte nicht beteiligt - gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 41, 50 Abs 1, § 52 ZPO. Der abweisende Teil war mit der Hälfte des Streitwertes zu veranschlagen, so daß die Klägerin der Beklagten die Hälfte ihrer Kosten zu ersetzen hat.
§ 42 UrhG (Fassung 1.1.1990 bis 31.3.1996)
Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch.
§ 42. (1) Jedermann darf von einem Werke einzelne
Vervielfältigungsstücke zum eigenen Gebrauch herstellen.
(2) Eine Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch liegt nicht vor,
wenn sie zu dem Zwecke vorgenommen wird, das Werk mit Hilfe des
Vervielfältigungsstückes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
(3) Auf Bestellung dürfen einzelne Vervielfältigungsstücke auch
zum eigenen Gebrauch eines anderen hergestellt werden. Eine solche
Vervielfältigung eines Werkes der bildenden Künste oder der
Filmkunst darf jedoch nur unentgeltlich vorgenommen werden. Die
entgeltliche Vervielfältigung eines Werkes der Literatur oder
Tonkunst zum eigenen Gebrauch des Bestellers ist auf andere Art als
mit Handschrift oder auf der Schreibmaschine nur zulässig, wenn sie
bloß kleine Teile eines Werkes oder ein nicht erschienenes oder
vergriffenes Werk betrifft.
(4) Ein Werk der Baukunst nach einem Plan oder Entwurf
auszuführen
oder ein solches Werk nachzubauen, ist stets nur mit Einwilligung
des Berechtigten zulässig.
(5) Ist von eimen Werk, das durch Rundfunk gesendet oder auf
einem
zu Handelszwecken hergestellten Bild- oder Schallträger festgehalten
worden ist, seiner Art nach zu erwarten, daß es durch Festhalten auf
einem Bild- oder Schallträger zum eigenen Gebrauch vervielfältigt
wird, so hat der Urheber, wenn unbespielte Bild- oder Schallträger,
die für solche Vervielfältigungen geeignet sind, oder andere Bild-
oder Schallträger, die hiefür bestimmt sind, (Trägermaterial) im
Inland gewerbsmäßig entgeltlich in den Verkehr kommen, Anspruch auf
eine angemessene Vergütung, es sei denn, daß das Trägermaterial
nicht im Inland oder nicht für solche Vervielfältigungen zum eigenen
Gebrauch benutzt wird; Glaubhaftmachung genügt. Bei der Bemessung
der Vergütung ist insbesondere auf die Spieldauer Bedacht zu nehmen.
Die Vergütung hat derjenige zu leisten, der das Trägermaterial im
Inland als erster gewerbsmäßig entgeltlich in den Verkehr bringt.
Wer Trägermaterial im Inland gewerbsmäßig entgeltlich, jedoch
nicht als erster, in den Verkehr bringt oder feilhält, haftet wie
ein Bürge und Zahler. Von dieser Haftung ist ausgenommen, wer im
Vierteljahr Schallträger mit nicht mehr als 5 000 Stunden Spieldauer
und Bildträger mit nicht mehr als 10 000 Stunden Spieldauer
bezieht.
(6) Ansprüche nach dem Abs. 5 können nur von
Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden.
(7) Wer Trägermaterial zu einem Preis gekauft hat, der die
angemessene Vergütung einschließt, es jedoch für eine
Vervielfältigung zum nichteigenen Gebrauch benutzt, kann von der
Verwertungsgesellschaft die Zurückzahlung der angemessenen
Vergütung fordern, es sei denn, daß der nichteigene Gebrauch eine
freie Werknutzung ist; Glaubhaftmachung genügt.
RBÜ
Berner Übereinkommen zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst
Pariser Fassung vom 24. Juli 1971
Art. 9. (1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst, die
durch diese Übereinkunft geschützt sind, genießen das ausschließliche Recht, die
Vervielfältigung dieser Werke zu erlauben, gleichviel, auf welche Art und in
welcher Form sie vorgenommen wird.
(2) Der Gesetzgebung der Verbandsländer bleibt vorbehalten, die Vervielfältigung
in gewissen Sonderfällen unter der Voraussetzung zu gestatten, daß eine solche
Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die
berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt.
(3) Jede Aufnahme auf einen Bild- oder Tonträger gilt als Vervielfältigung im
Sinne dieser Übereinkunft.