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Lasst die Kirche im Dorf!
Ein Vorschlag zur grundrechtskonformen Lösung der Tauschbörsen-Problematik
Vor kurzem hat eine neue, umstrittene EU-Richtlinie das Parlament in Brüssel passiert. Nachdem sie nun vom Ministerrat verabschiedet wurde, wird sie demnächst im Amtsblatt veröffentlicht werden und tritt dann 20 Tage später in Kraft. Innerhalb von 2 Jahren ist sie dann von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen. Es geht wieder einmal um den Schutz des "geistigen Eigentums" (dazu gehören Markenrecht, Patentrecht, Musterrecht und Urheberrecht).
- RL zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentumes
- ORF-Artikel vom 29.4.2004
- ORF-Artikel vom 11.3.2004
- Telepolis-Artikel vom 10.3.2004
Die Richtlinie (RL-Vorschlag vom 30.1.2003) sollte ursprünglich dazu dienen, schärfere Sanktionsmittel gegen kommerzielle Fälscher und Produktpiraten zu schaffen und diese EU-weit zu vereinheitlichen. Im Zuge der Diskussion kamen aber immer mehr auch die Tauschbörsen-User ins Spiel. Greuelmärchen auf beiden Seiten verhüllten lange Zeit, was gesetzliche Realität und was Propagandatricks waren. Ein Teil davon ist auch noch in die Richtlinie eingeflossen, wenn etwa in Erwägungsgrund 9 Verletzungen des geistigen Eigentums in die Nähe der organisierten Kriminalität gerückt werden.
Auffallend ist auch der Werdegang der Richtlinie. Nachdem vor der Beschlussfassung im Parlament eine Unzahl von Abänderungsanträgen eingebracht worden waren, von denen sich letztlich nur diejenigen durchsetzten, die zu einer Verschärfung führten, war zunächst nicht zu erfahren, was überhaupt im Detail beschlossen worden war. Auch der Name der Richtlinie war die längste Zeit unklar. Erst jetzt liegt ein konsolidierter Entwurf vor, aus dem man ersehen kann, was wirklich kommt.
Worum geht es in der Richtlinie?
Am erfreulichsten ist der Umstand, dass alle Verfolgungshandlungen ausschließlich über die Gerichte zu erfolgen haben. Es droht daher keine Gefahr einer Privatpolizei der Musikindustrie. Auch hat es die "Download-Richtlinie", wie sie auch bereits genannt wurde, keinesfalls primär auf die Tauschbörsenuser abgesehen. Das Hauptziel der Richtlinie ist die Bekämpfung der Produktpiraterie jeglicher Art, also auf dem Gebiet des Markenrechtes, Musterrechtes und auch im Urheberrecht. Der Richtliniengesetzgeber hatte die Bekämpfung des Vertriebes von gefälschten Lacoste-Leibchen und Rolex-Uhren genauso im Sinn wie das Raubkopieren von Musik und Computerprogrammen.
Ein sehr begrüßenswerter Gedanke der Richtlinie ist die Vereinheitlichung des Rechtes der EU-Staaten. Die EU bemängelt nämlich zu Recht, dass in verschiedenen Staaten kein ausreichendes rechtliches Instrumentarium zum Schutz des geistigen Eigentums besteht. Das gilt allerdings sicher nicht für Österreich. Neben der Anhebung des Schutzniveaus auf einen annähernd gleichen Level geht es auch um die Vereinheitlichung und Koordinierung der Verfolgung der Rechteverletzer über die Grenzen hinweg.
Inhaltlich fordert die Richtlinie ein breites zivilrechtliches und strafrechtliches Instrumentarium einschließlich Schnellverfahren und Maßnahmen bis hin zur Herausgabe von Geschäfts- und Bankunterlagen und Beschlagnahme von Material und Gerät sowie Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen. Das ist aber für Österreich nichts Neues sondern bereits seit langem Gesetz, das auch praktiziert wird.
Daneben bringt die Richtlinie noch verschiedene Auskunftspflichten und das ist vor allem für die Tauschbörsen interessant. Allerdings sind auch diese Auskunftspflichten nicht neu; sie finden sich bereits in der E-Commerce-Richtlinie (2001/31/EG) und in der Info-Richtlinie (2001/29/EG) und haben auch längst in das österreichische Gesetz Eingang gefunden (zu den Auskunftspflichten der Diensteanbieter). Das eigentliche Dilemma dabei ist, dass die Auslegung dieser Normen noch nicht klar ist. Immerhin kollidieren hier einfachgesetzliche Bestimmungen mit diversen Grundrechten.
Insbesondere geht es hier um Ansprüche gegen die sogenannten "Vermittler", das sind im weitesten Sinne Beteiligte, die an Rechteverletzungen mitwirken. Inwieweit auch die verschiedenen Provider darunter fallen und wie weit sie die Haftungsbefreiungen des E-Commerce-Gesetzes schützen, ist noch offen. Die Auskunftspflicht nach Art. 8 Abs. 1 der neuen Richtlinie gilt jedenfalls nur bei gewerblichen Rechteverletzern, lässt aber andere Auskunftspflichten unberührt. Insofern ist diese Bestimmung sogar zahmer als die früheren.
Was bedeutet die Richtlinie für Österreich?
Richtlinien sind nicht direkt anwendbar, sie müssen von den nationalen Gesetzgebern in nationales Recht umgesetzt werden, wobei allerdings diese Gesetzgeber an die Richtlinie gebunden sind. Soweit bestehende nationale Gesetze der Richtlinie widersprechen, sind sie anzupassen.
Im österreichischen Recht bestehen bereits viele Mechanismen, die von der EU jetzt gefordert werden. Insbesondere sind im österreichischen Recht bereits bisher Strafsanktionen für bestimmte Rechtsverletzungen vorgesehen. Allerdings orientieren sich die Strafrahmen an der bisher üblichen Einteilung: Leichte Strafen für Delikte mit geringem Schaden, mittlere Strafen für Delikte mit höherem Schaden und hohe Strafen für Delikte bei gewerbsmäßiger Begehung. Diese Abstufung findet sich beim Diebstahl (§ 127 StGB) genauso wie im Urheberrechtsgesetz (§ 91 UrhG). Für den Bereich der Tauschbörsen ist diese Abgrenzung aber untauglich, weil es hier kein gewerbliches Handeln und damit keinen Tatbestand gibt, an den eine höhere Strafe geknüpft ist.
§ 70 StGB: Gewerbsmäßig begeht eine strafbare Handlung, wer sie in der Absicht vornimmt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Das führt dazu, dass das Zurverfügungstellen eines einzelnen Klingeltones demselben Strafrahmen unterliegt, wie das Anbieten tausender Musikstücke. In beiden Fällen beträgt die Höchststrafe 6 Monate Freiheitsstrafe bzw. 360 Tagessätze Geldstrafe. Das wiederum führt dazu, dass bei diesen Delikten die Ausforschung des Täters nicht möglich ist, weil nach § 149a StPO für die Herausgabe von Verbindungsdaten zur Feststellung des Users, der sich hinter einer IP-Zahl verbirgt, ein Delikt vorliegen muss, das mit mehr als 1 Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Immerhin geht es hier um einen Eingriff in die Grundrechte des Fernmeldegeheimnisses und des Schutzes der Privatsphäre. Das ist der Grund, warum bisher die Verfolgung von Tauschbörsen-Usern gescheitert ist. Der Download spielt hier überhaupt keine Rolle, weil er nicht strafbar ist und m.M. auch nicht rechtswidrig.
Lösungsansatz
Der österreichische Gesetzgeber hat sich bei der Implementierung einer Richtlinie nicht nur an deren Text zu orientieren, sondern muss auch die übrige Rechtsordnung berücksichtigen. Vor allem kann er sich nicht über die Grund- und Freiheitsrechte hinwegsetzen. Sowohl eine Richtlinie als auch ein Gesetz ist grundrechtskonform auszulegen. Das führt in manchen Bereichen dazu, dass zwar grundsätzlich Auskunfts- und Zwangsrechte für die Rechteinhaber bestehen können, dass diese aber zurückstehen müssen, wenn sie mit Grundrechten kollidieren. Ein Eingriff in Grundrechte darf nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Je schwerer der Eingriff, desto gravierender muss das Delikt sein. Und hier besteht in Österreich Handlungsspielraum. Es ist nämlich keineswegs einzusehen, dass Täter, die wegen einer Bagatelle mit dem Urheberrecht in Konflikt geraten, unter den gleichen Strafrahmen fallen wie Täter, die dieses ständig in großem Stil verletzen.
Würde man den Strafrahmen für gravierende Urheberrechtsverletzungen etwa auf 2 Jahre hinaufsetzen, was durch einen Nebensatz in § 91 Abs. 2a UrhG geschehen könnte, wäre der Weg für eine Feststellung der Userdaten geöffnet, der nicht nur die Grundrechte wahrt, sondern auch das bisherige Gefüge unserer Rechtsordnung nicht bis zur Unkenntlichkeit durcheinander bringt.
Allerdings müsste man bei dieser Gelegenheit erst einmal untersuchen, welcher Schaden beim unberechtigten Anbieten von Musik im Internet überhaupt entsteht. Niemand kann ernstlich behaupten, dass jeder Download ein entgangener CD-Verkauf ist. Genauso gut könnte die Gegenseite behaupten, dass das Anbieten in der Tauschbörse nur Werbung für den Interpreten ist. Es müsste daher auf seriöse Weise geklärt werden, ab welcher Menge tatsächlich ein Schaden entsteht, der den höheren Strafrahmen rechtfertigt.
Aber auch die österreichischen Gerichte sind gefordert, bei der Vielzahl an widersprechenden Normen die Verhältnismäßigkeit zu wahren und vor allem angesichts immer größer werdender Begehrlichkeiten von Rechteverfolgern in besonderem Maße die Grundrechte zu wahren.
Ausblick
Vor kurzem haben einige mittelständische Verbände der Film-, Musik- und Dienstleistungswirtschaft in Deutschland aufhorchen lassen, die eine sanfte Verfolgung von Urheberrechtsverletzern fordern und das Strafrecht als letztes Mittel sehen wollen (Heise-Artikel). Vielleicht besteht doch noch Hoffnung, dass sich die Europäer auf ihre Rechtstradition besinnen und uns amerikanische Zustände (z.B. ruinöse Millionenklagen gegen Studenten) erspart bleiben. Jedenfalls sollte der österreichische Gesetzgeber die Kirche im Dorf lassen und unter Wahrung des verfassungsrechtlichen Prinzipes der Verhältnismäßigkeit dort nachbessern, wo es nach unserer gesamten Rechtsordnung unter Berücksichtigung der konkreten Situation in Österreich erforderlich ist. Ob man mit rechtlichen Mitteln die Tauschbörsenproblematik in den Griff bekommt, ist ohnedies zu bezweifeln.
Auch aus moralischen Gründen ist ein behutsames Vorgehen angebracht. Denn: Wo war die Musikindustrie, als Napster groß geworden ist? Und in der Folge, als Napster durch zig andere Tauschbörsen abgelöst wurde? Als Tauschbörsen als das Non plus Ultra in den Medien propagiert und gefeiert wurden? Wer will es den Jugendlichen verdenken, dass sie bei dieser Bewegung mitgemacht haben? Alle haben mitgemacht. Alle haben es gewusst. Und niemand hat etwas gesagt. Und denen will man jetzt mit der Prozesskeule und mit Schwerverbrecherfotos drohen? Wer jahrelang die Entwicklung verschlafen und zugelassen hat, dass das Geschäft zum Selbstbedienungsladen mutiert, sollte nicht hysterisch reagieren, sondern versuchen, behutsam den Fehler gutzumachen. Dass es auch anders gegangen wäre, hat Apple mittlerweile gezeigt.
29.4.2004
Nachträge:
- In Amerika wird überlegt, ab 1000 Songs einen höheren Strafrahmen einzuführen; ORF-Artikel vom 20.5.2004